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Gebrauchsanweisung für Rio

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Gebrauchanleitung für Rio

Photo & Text Joe Haider

Sand, Sonne, Samba, Carneval und Lebensfreude pur, sagen die Einen. Touristen, die wie ein Christbaum zu Lichtmess abgeräumt werden, Massenelend, Lug und Betrug wissen die Anderen. Wie man das Eine ohne das Andere bekommt verrät dieser Bericht. Eine Gebrauchsanweisung um leichter zum Brasilianer zu werden. Oder noch besser zum Carioca, einer jener lebensfrohen Einwohner von Rio. Und selbst auch nur ein halber Carioca zu sein, ist schon ein ganzes Abenteuer.

Brasilien gehört nicht zu diesen Reiseländern, wo man als Tourist nur zwischen Strand und Hotel-Getto pendelt, während man die Einheimischen höchstens als Statisten oder Bedienstete registriert. Dieses Land ist entweder ein Schwamm, der einen aufsaugt und verändert oder das Handtuch, das man kapitulierend wirft. Wollen auch Sie von diesem unheilbaren Brasilien-Virus angesteckt werden, ohne in dieses oder jenes Fettnäpfchen zu treten dann starten Sie mit zu einer Reise im Kopf!

Los geht's! Drehen Sie zur besseren Simulation ihre Heizung voll auf und entspannen Sie sich. Stellen Sie sich vor, in einer Boeing 737 sitzend, auf den schier unendlichen Urwald hinabzuschauen. Die zahllosen glänzenden Flüsse winden sich schlangengleich durch diesen grünen Teppich und werfen Lichtreflexe auf Ihre Netzhaut. Die freudige Erregung, dieser Reiz am Unbekannten hat wohl auch schon Vasco da Gama und Columbus motiviert, zu neuen Ufern aufzubrechen. Sie lauschen dem Geplauder Ihrer braunen Sitznachbarin und lassen sich vom exotischen Wohlklang der Sprache, die Sie die nächsten Wochen begleiten wird, bezaubern. Der Landeanflug, die 40 Grad Celsius und die hohe Luftfeuchtigkeit haben Sie vollends in Euphorie versetzt, die höchstens beim Va Banque-Spiel der Zollkontrolle gedämpft werden könnte.

Ihrer ersten Prüfung begegnen Sie unweigerlich schon in der Wartehalle. Bei Ankunft eines Touristenjets ergießen sich halblegale Geldwechsler in braunen Uniformen auf ihre Opfer. Vielsprachig, wortgewaltig und doppelzüngig werden sie Ihnen Ihre US-Dollars aus der Tasche ziehen, und dafür einen Ihrer Unerfahrenheit entsprechenden Betrag auszuzahlen.

Dass auch der jeweilige Schwarzmarktkurs, täglich auf der Titelseite des Journal do Brasil' angegeben ist, können Sie ja noch nicht wissen. Auch ein Blick in diese Tageszeitung würde Sie staunen lassen, da für einen US-Dollar drei grundverschiedene Kurse angegeben sind, die alle gültig erscheinen. Reisebudget- und Nerven-schonender ist ein Besuch bei der 'Banco do Brasil, die sich im zweiten Stock des Abfertigungsgebäudes versteckt.

Sie gehen jetzt am besten in die Flughafenbar und bestellen sich einen Caipirringna'. Während Sie dieses Nationalgetränk, bestehend aus Zuckerrohrschnaps, Eis, Zucker und Lemonen, auf sich einwirken lassen, erkennen Sie die scheinbare Unmöglichkeit das Geld-bündel, das Sie für Ihre Devisen bekommen haben, zu zählen. Diese kunterbunte Mischung aus Cruzados, sowie alten und neuen Cruzeiros, 150t Sie etwas von den wirtschaftlichen Problemen dieses armen, reichen Landes erahnen. Versuchen Sie trotzdem so gut es geht mit dieser Währung vertraut zu werden, denn Sie kommen zur zweiten Probe.

Wegen der hohen Inflation ist es ein eher sinnloses Unterfangen, jede Woche alle Taxameter umzustellen. Daher werden in den zahlreichen Taxis echte und gefälschte Umrechnungstabellen ausgehängt, die wiederum nur relativen Aufschluss über die Höhe des zu bezahlenden Fahrpreises geben. Außerdem lieben es viele Motoristas' (Taxi-lenker), dem Neuankömmling ihre Stadt zu zeigen. Wenn Sie also auf der Fahrt zum Hotel schon dreimal am selben Platz vorbeikommen, teilen Sie dies besser dem Fahrer mit.

Brasilianer sind zwar meist sehr freundlich aber arm. Viele verdienen nicht einmal das ohnehin sehr niedrig festgesetzte Mindesteinkommen. Wenn also ein reicher Gringo auftaucht, ist die Verlockung sich zu irren umso grösser, je leerer der Magen oder je zahlreicher die Familie ist. Bei Richtigstellung eines Rechenfehlers entschuldigt sich der Betroffene normalerweise und weist auf seine mangelnde Schulbildung hin. Vielleicht werden Sie sogar auf ein Glas Bier eingeladen,

Glücklich im Hotel angekommen, entspannen Sie sich unter dem netten Lächeln der hübschen Kellnerin, die sich nach Ihren Wünschen erkundigt. Vielleicht eine Feijoada, um sich an den Reis und die Bohnen zu gewöhnen, die man fast unweigerlich zu jedem Gericht bekommt. Für Abwechslung im Speiseplan kann unter anderem mit einem Churrasco gesorgt werden. Für einen Fixbetrag dürfen Sie alle eventuellen Diätplline vergessen und bis zum Umfallen von den besten Steaks naschen, die schwerbeladene Kellner vorbeischleppen. Um Sie vor dem anschließenden Zerplatzen zu retten, empfiehlt sich ein Mate. Die verdauungsfördernde Wirkung des Yerba-Strauches hat schon vielen müden Gauchos wieder auf die Beine geholfen. I

Ihre Rolex, den Schmuck und überflüssiges Bargeld sollten Sie übrigens schon längst im Hotelsafe deponiert haben. Diese einfache Maßnahme kann. Ihnen viel Geld und Ärger ersparen. Hier gilt "Je mehr Geld man zeigt, desto mehr bezahlt man auch". Ein Grundgedanke, den man fast sozial nennen darf und vielen Brasilienneulingen zu überhöhten Preisen verholfen hat. Es kann sich auch als günstig erweisen, einen Extrageldschein im aufgerollten Hemdsärmel oder in der Socke zu verstecken. Nach einem Diebstahl, wie sie hierzulande häufig und in allen Variationen über die Bühne gehen, bekommen Sie von der Polizei zwar Mitgefühl, aber kein Taxigeld mit auf den Heimweg.

Inzwischen ist die tropische Nacht angebrochen und Sie gedenken diese möglichst kurzweilig zu gestalten. Das ist in Rio kein Problem, nur für Sie kann es eines werden. Fragen Sie am besten den Hotelportier, der Ihnen gerne mit mannigfaltiger Auskunft zur Verfügung stehen wird. Taxifahrer haben oft die Angewohnheit, diesbezügliche Fragen eindeutig zweideutig zu beantworten und Sie vor Etablissements abzusetzen, deren 5inn und Zweck Sie sicher, wenn nicht auf den ersten, so doch auf den zweiten Blick erkennen.

Ob Samba-Show, Disco, Bar oder Strassencafe' lassen Sie die anregende Atmosphäre auf sich wirken. Ein weiterer Caipirinha hilft beim Entspannen und Sie werden entdecken, dass die für die meisten Europäer übliche Reserviertheit hier gänzlich unangebracht ist. In Rio kommt man sich schnell näher und auch zur Sache.

Falls Sie noch kein Wort portugiesisch sprechen, sollten Sie jetzt die erste Phrase lernen. Besonders am Abend können die vielen Blumen-, Bleistift-, Schmuck- und Erdnussverkäufer lästig werden. Sie lassen sich, wenn überhaupt, nur vom fehlerlosen Gebrauch des 'Nou, obrigado!" (Nein, danke!) zurückweisen. Bis zum Morgengrauen sind außerdem bettelnde Kinder jeder Altersstufe unterwegs. Zielsicher scharen sie sich um jeden Touristen, egal wie gut er sich verkleidet haben mag. Mit großen, braunen Augen, die Hände zur Gabe geöffnet, tragen sie bittend bis fordernd ihr Leid vor, während Sie sich gerade auf Ihre Tischdame konzentrieren wollen. Bleiben Sie freundlich aber bestimmt, sonst merken Sie schnell, dass gerade Brasilianerinnen sehr kinderlieb sind.

Die einzig wirksame Maßnahme gegen solche Geduldsproben wäre, Ihr Erscheinungsbild solange ins Unscheinbare zu steigern, bis jeder eventuelle Räuber und leider auch das andere Geschlecht, einen großen Bogen um Sie macht. Dermaßen verunstaltet kann man fast bedenkenlos in den nächtlichen Straßen flanieren, und zu sehen wie um Sie herum diverse Wertgegenstände ihren Besitzer wechseln. Außerdem ist in diesem Outfit die Wahrscheinlichkeit größer, von einigen barmherzigen Verkäufern nicht über's Ohr gehauen zu werden. Basarerfahrung ist aber auch hier von Vorteil.

Sie sind jetzt gegen fast alle Eventualitäten gewappnet. Nicht nur an all den Stränden, wie Itaipu, Ipanema und Copacabana, deren Namen auf der Zunge zergehen, können Sie sich jetzt als erfahrener Carioca dem reinen Vergnügen hingeben. Brasilien ist ein von der Natur reich beschenktes Land, mit einer Vielfalt, wie sie kaum ein zweites aufweisen kann. Wenn schon nicht, wie ein Sprichwort sagt, Gott Brasilianer ist, so würde er sich dort sicher wohl fühlen vorausgesetzt, er hat vorher diesen Bericht gelesen.

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